Tiefgekühlte Grasmücken
Grasmücken, Rohrsänger, Ortolane, Lerchen, Finken und andere Singvögel sind im Libanon eine beliebte Delikatesse und werden in Restaurants und Supermärkten massenhaft zum Verkauf angeboten. Neben dem Abschuss ist der kommerzielle Massenfang mit Netzen und Leimruten das größte Problem für diese Arten. Die Wilderer sind oft gut organisiert, betreiben große Vogelfanganlagen oder bauen ihre Fangstellen an strategisch günstigen Standorten für durchziehende Singvögel auf. Schätzungen des Komitees und seines Partners "Middle East Sustainable Hunting Center" (MESHC) gehen davon aus, dass jedes Jahr mehrere Millionen Kleinvögel für den Handel gefangen, getötet und verkauft werden.
Gerupfte und eingefrorene Singvögel sind in praktisch jedem größeren Supermarkt in der Tiefkühlabteilung, direkt neben Pizza, Fischstäbchen und Eis im Angebot zu finden. Bei stichprobenhaften Erfassungen in zufällig ausgewählten Supermärkten zählten wir allein in sechs Läden 83 Packungen mit jeweils rund 40 eingefrorenen Mönchsgrasmücken. Insgesamt wurden also einzig in diesen Märkten über 3.300 Singvögel zum Kauf angeboten. Der Preis pro Packung liegt aktuell bei rund 50 Dollar, angesichts der Hyperinflation im Land sind Singvögel deshalb eine Speise für die Besserverdienenden. Berücksichtigt man, dass es im gesamten Land Hunderte solcher größeren Supermärkte gibt, ist davon auszugehen, dass pro Jahr mehrere Hunderttausend illegal gefangene Singvögel allein über diesen Vertriebsweg vermarktet werden. Nicht enthalten in dieser Schätzung ist die Menge von Singvögeln, die direkt an Restaurants oder auf Märkten und in Metzgereien verkauft werden oder von Fängern oder Zugvogeljägern selbst konsumiert werden.
Für Vogelfänger ist es im krisengeplagten Libanon ein lukratives Geschäft, denn sie verdienen sich mit ca. einem Dollar pro gefangenen Vogel einen guten Nebenverdienst dazu. Die Wilderer nehmen deshalb auch weite Anreisen in die nördliche Bekaa-Ebene oder in die Küstenbereiche in Kauf, wo zur Zugzeit besonders viele Vögel gefangen werden können.
Ähnlich wie bei der Jagd auf Singvögel wird der industrielle Verkauf als Lebensmittel kaum hinterfragt. Die Lösung dieses Problems liegt zum einen in der effektiven Bekämpfung des Vogelfangs und in der Sensibilisierung der breiten Bevölkerung für Umwelt- und Naturschutzthemen zum anderen aber auch im Interesse der Supermarktbetreiber selbst. Nach einer großen Pressemitteilung des Komitees und seiner Partner, die den Verkauf von Singvögeln in den Filialen der internationalen Supermarktkette Spinneys im Jahr 2018 anprangerte, reagierte die Betreibergruppe und nahmen die Singvögel darauf aus dem Angebot.