Brescia: Hochburg der Wilderei in Italien
Die Brescianer Alpen, zwischen dem Gardasee im Osten und dem Iseosee im Westen gelegen, zählen zu den wichtigsten Flugrouten der europäischen Zugvögel. Wenn die Vögel im Herbst die bereits verschneiten Alpen überquert haben, finden sie hier eine noch spätsommerliche Landschaft mit Olivenhainen, blühenden Wiesen und beerenreichen Wäldern. An keiner anderen Stelle Italiens gehen so viele Jäger und Wilderer auf die Vogelpirsch und verwenden dabei eine solche Vielzahl von Fanggeräten.
20.000 lizenzierte Jäger
Wenn im September die Jagdsaison beginnt, stehen in Brescia mehr als 20.000 Jäger Gewehr bei Fuß. Sie besetzen überall Alpenpässe, durchstreifen sämtliche Wiesen und Felder oder betreiben tausende riesige Schießanlagen mit unzähligen lebenden Lockvögeln im Wald. Offiziell zum Abschuss freigegeben sind 36 Vogelarten, wobei in Brescia in Ermangelung von großen Feuchtgebieten fast ausschließlich Singvögel gejagt werden.
Neben den zum Abschuss freigegeben Arten werden dabei auch verbreitet geschützte Vögel unter Beschuss genommen und häufig illegale elektronische Lockgeräte verwendet. Auch nicht ordnungsgemäß beringte Lockvögel werden bei Kontrollen gefunden, ebenso wie Jäger, die weit mehr Vögel geschossen haben, als das Tageslimit erlaubt.
Vogelfang mit Fallen und Netzen
Brescia ist weltweit die letzte Stelle, in der die brutalen Bogenfallen noch zum Einsatz kommen. Die mit einer Schlinge versehenen Metallbögen werden in Gebüschen und an Waldrändern postiert. Leuchtend rote Ebereschenbeeren locken die Vögel in die mit einem kleinen Stöckchen gespannte Schlinge. Landen sie dort, schlägt der unter Spannung stehende Bogen auseinander und die Tiere bleiben mit zerquetschten Beinen in der Falle hängen. Vor allem Rotkehlchen werden auf diese Weise gefangen. Ebenfalls für Rotkehlchen, aber auch für Trauerschnäpper, werden Schlagfallen in Wäldern und auf Wiesen postiert. Fangnetze werden in Brescia weit verbreitet für den Fang von Drosseln verwendet – die Tiere landen in kleinen Käfigen und dienen fortan als Lockvögel bei der Jagd. Mit Käfigfallen werden Finken, Rotkehlchen, Heckenbraunellen und Tannenmeisen gefangen – entweder um sie zu essen oder als Stubenvögel zu verwenden. Der Einsatz von Leimruten ist inzwischen selbst in den Bergen Brescias selten geworden, trotzdem haben wir während unserer Vogelschutzcamps in jedem Jahr mehrere Fälle, in denen die mit klebrigem Leim bestrichenen Fallen zum Vogelfang eingesetzt werden.
Zugvögel als Spielball der Politik
In Brescia sitzt das Herz der italienischen Jagdwaffenindustrie. Vor allem im Val Trompia reiht sich eine Waffen- und Munitionsfabrik an die andere. Die rechtspopulistische Lega - bekennend jagdfreundlich - stellt hier seit Jahrzehnten in fast jeder Gemeinde den Bürgermeister. Politik machen heißt hier vor allem, sich für Jäger und die Waffenindustrie stark zu machen. Brescianische Politiker haben viel Einfluss in Rom, ihr Widerstand gegen Verbesserungen im Jagdrecht und Ihr Eintreten für großzügige Abschussgenehmigungen eigentlich EUweit geschützter Arten bestimmen die Jagdpolitik des gesamten Landes. Dazu kommt der in Oberitalien weit verbreitete Separatismus, der auf eine Loslösung vom Rest Italiens hinwirkt. Rechtsextreme Politiker nutzen die von nationalem und internationalem Naturschutzrecht festgeschriebenen Jagdbeschränkungen, um Hass auf Rom und Brüssel zu schüren. Auf diesem Weg werden Jagd und Vogelfang zur Tradition stilisiert und die Zugvögel zum Spielball der Politik.
Ein Gebiet – vier Fangzeiten
In den meisten Brennpunkten der Wilderei in Italien gibt es nur eine traditionelle Fangsaison. Anders in Brescia: Hier sind Jäger und Wilderer rund um das Jahr aktiv. Im Frühling werden Netze für den Fang von durchziehenden Singdrosseln oder – etwas später im Frühjahr – für frisch ausgeflogene Drosseln aufgestellt. Im August stellen die Wilderer Trauerschnäppern und Gartenrotschwänzen mit Schlagfallen nach. Im Herbst ist die offizielle Jagdzeit, dann haben auch die meisten Wilderer ihre Hauptsaison - kein Wunder, sind doch gut drei Viertel der Vogelfänger auch lizenzierte Jagdscheininhaber. Im Winter gibt es den Fang von Wacholderdrosseln mit Netzen auf verschneiten Bergpässen.