Tarnhüttenjagd in Oberitalien
Wie italienische Jäger die Zugwege belagern
Keine Jagdmethode ist so effektiv wie die Tarnhüttenjagd. Ganze Vogelschwärme werden dabei in den Tod gelockt - tägliche "Strecken" von 50 Vögeln pro Person sind keine Seltenheit. Die 11.000 oberitalienischen Schießanlagen sind dabei so dicht gesät, dass die Zugvögel fast keine Chance haben, unbeschadet die Alpen zu überqueren.
Tarnhütten stehen auf großzügigen Freiflächen im Wald. Im Herbst sind die um die Anlagen gepflanzten Ebereschen-Bäume brechend voll mit Beeren, frisches Wasser in Vogeltränken laden zu einem Bad ein und Futter türmt sich bergeweise. Was aber im wahrsten Sinne des Wortes am verlockendsten ist, sind die in kleinen Käfigen eingepferchten Lockvögel: Die Tiere werden den ganzen Sommer über im Dunkeln gehalten und erst zur Jagdsaison im Herbst aus dem Verlies geholt. Trotz der meist erbärmlichen Haltungsbedingungen beginnen die Vögel umgehend zu singen - sie halten das plötzliche Lichtangebot für den Frühling. In der Mitte der Anlage steht die eigentliche Tarnhütte - eine Art Bunker mit Schießscharten. Nicht selten gehören ein Feldbett und ein Gasofen zum Inventar, denn die Jäger übernachten oft in den Bergen, um zeitig Gewehr bei Fuß zu stehen.
Zugvögeln, die gerade erst den beschwerlichen Weg über die schneebedeckten Dreitausender des Alpenhauptkammes hinter sich gebracht haben, muss das Angebot an Futter, Wasser und singenden Artgenossen wie das Paradies vorkommen. Schwärmeweise fallen sie auf den Trick herein und lassen sich auf die überall angebrachten waagerechten Sitzstangen nieder. Haben sich genügend Tiere eingefunden, schießt der Jäger aus der Hütte heraus in die Vogelschar - geschickte Schützen können so mehrere Vögel auf einmal töten.
Erlaubt ist die Jagd auf Amseln, Sing-, Wacholder- und Rotdrosseln sowie auf Feldlerchen. Die Höchstquote pro Person sind - je nach Region unterschiedlich - 25 oder 30 Vögel am Tag. Weil das den Waidmännern nicht genug ist, versuchen sie vielfach, die Ausweitung der Jagd auf eigentlich geschützte Arten wie Buch- und Bergfinken durchzusetzen.
An guten Zugtagen sind alle Tarnhütten besetzt. Die frühlingshafte Geräuschkulisse singender Drosseln und Lerchen wird von unzähligen Schüssen durchbrochen. Die einzige Chance der Vögel, die Barriere aus Schießanlagen zu überwinden, besteht an Dienstagen und Freitagen, wenn die Jagd in Italien ruht.
Die ganze Jagdmethode steht und fällt mit den Lockvögeln. Jede Tarnhütte hat im Schnitt 25 der Tiere, von denen jährlich rund ein Viertel stirbt. Der Nachschub wird nur zu einem kleinen Teil über Zuchten gedeckt. Die Mehrheit der Lockvögel sind Wildtiere, die entweder illegal mit Netzen gefangen oder aus Nestern geraubt werden.
Aber auch sonst halten es viele Tarnhüttenjäger nicht so genau mit dem Gesetz. Bei Kontrollen durch Behörden und Jagdaufseher werden bei etwa jedem vierten Jäger Verstöße festgestellt. Die häufigste Straftat ist dabei der Abschuss geschützter Arten. Besonders beliebt sind Bachstelzen, Rohrammern, Rotkehlchen, Heckenbraunellen sowie Stieglitze und Erlenzeisige. Zudem wird vielfach das erlaubte "Tageslimit" an zum Abschuss erlaubten Singvögeln überschritten, oder es werden illegale elektronische Lockanlagen verwendet, die billiger und effektiver als lebende Lockvögel sind und weniger Arbeit machen.
Die erschreckende Bilanz ist, dass sich mehr als 10 % der Tarnhüttenjäger als Wilderer betätigen. Und das ist nur die Spitze des Eisberges, denn viele Jäger werden von Kollegen vor den Kontrollen gewarnt und können illegale Beute frühzeitig verstecken.
Bei den Vogelschutzcamps des Komitees gegen den Vogelmord in Italien kontrollieren wir regelmäßig die Tarnhütten. Wenn wir Hinweise auf Vogelfang mit Netzen oder Fallen finden, unberingte oder mit manipulierten Ringen versehene Lockvögel oder die Verwendung elektronischer Lockgeräte feststellen, sammeln wir Beweise und rufen die Polizei.