Roccoli - der Staat als Vogelfänger
Für die Tarnhüttenjagd ist die Verwendung lebender Lockvögel unerlässlich. Über Jarhunderte wurden die Vögel deswegen in riesen Fanganlagen - den "roccoli" (Einzahl "roccolo") - mit Netzen gefangen. Nachdem der Vogelfang 1992 in Italien verboten wurde, bekamen die Tarnhüttenjäger ein Nachschubproblem. Statt ein Zuchtprogramm aufzulegen, erwirkte die Regierung eine Ausnahmegenehmigung zum Weiterbetrieb der roccoli. Und da es Privatleuten per Gesetz nicht erlaubt war, Vögel zu fangen, machte der Staat sich selbst zum Betreiber der Fanganlagen!
"Roccoli" sind etwa fußballfeldgroß und stehen auf für den Vogelzug bedeutsamen Pässen und wichtigen Zugrouten. Das Kernstück eines roccolo ist eine mächtige, die gesamte Anlage umgebende Buchenhecke. Die Bäume sind über Jahrzehnte zu Rundbögen geschnitten und beherbergen in ihrem Inneren einen Laubengang. Hier werden Netze gespannt, je nach Größe der Anlage bis zu 2.000 laufende Meter! Der roccolo bietet eine große Auswahl an beerentragenden Sträuchern, Wasserstellen, Futterplätzen und ist gespickt mit lebenden Lockvögeln. Nicht selten sorgen über 50 in enge Käfige gesperrte Tiere für ein frühlingshaftes Vogelkonzert, das durchziehende Artgenossen magisch anlockt.
In der Mitte des Fanggartens findet sich ein zweistöckiger Turm, in dem der Vogelfänger sitzt. Haben sich genügend Vögel versammelt, wirft er bumerangähnliche Holzstücke in das weitläufige Gelände. Die Tiere erkennen in den fliegenden Objekten herannahende Greifvögel und stürzen sich fluchtartig in die Schutz versprechende Buchenhecke - wo sie unversehens im Netz landen. In einem solchen roccolo können täglich mehrere hundert Vögel gefangen werden.
In den 1970er Jahren wurden noch über 2.000 solcher Anlagen in Norditalien betrieben. Mit dem Verbot des Vogelfangs 1992 wurden fast alle Roccoli geschlossen - aber eben nur fast. Die Regionen Oberitaliens - allen voran die Lombardei und das Veneto - haben bis zum Jahr 2014 in jedem Herbst etwa 50 roccoli geöffnet. In den Fanganlagen wurden dann wieder die Netze gespannt, und vom Staat bezahlte Vogelfänger überwachten den Fang der Tiere. Weil der Verkauf der Vögel offiziell verboten war, wurden sie kostenlos an die Jäger abgegeben. In jedem Jahr landeten auf diese Art und Weise rund 50.000 Wildvögel in den Lockvogelkäfigen der Tarnhüttenbesitzer.
Nicht selten wurden bei Kontrollen Mängel festgestellt - zum Beispiel wurden die Netze oft nicht, wie vorgeschrieben, zur Nachtzeit eingeholt. Dazu füllten viele Fänger ihre Kühltruhen mit Rotkehlchen und Finken, die zufällig in den Netzen landeten und eigentlich umgehend hätten freigelassen werden müssen.
Komitee zieht gegen die roccoli vor Gericht
Um dem fortdauernden Verstoß gegen die EU-Vogelschutzrichtlinie ein Ende zu bereiten, hat das Komitee gegen den Vogelmord 1994 die erste Klage vor dem Mailänder Verwaltungsgericht eingereicht. Es bestätigte, dass die Ausnahmegenehmigung für den Betrieb der roccoli weder mit EU-Recht, noch mit den nationalen Gesetzen vereinbar war. Das Gesetz, mit dem die Anlagen 1994 geöffnet worden waren, wurde für ungültig erklärt und alle Anlagen mussten geschlossen werden.
In den Folgejahren haben die Regierungen der Lombardei und des Veneto in jedem Herbst die roccoli wieder geöffnet, jedes Mal mit einem neuen Gesetz gleichen Wortlautes wie seinerzeit 1994. Jedes Mal hat das Komitee zusammen mit seinem Partnerverband LAC geklagt und stets Recht bekommen. Die Gesetze wurden immer erst kurz vor dem Start der Fangsaison verabschiedet, die Gerichtsverfahren dauerten meist vier Wochen, in denen die Vogelfänger munter Lockvögel fangen konnten. Insgesamt haben wir mehr als ein Dutzend Mal gegen die Eröffnung der Anlagen geklagt und gewonnen.
Diesem Spuk wurde erst durch eine Intervention der EU-Kommission bereitet. Seit 2014 sind alle roccoli geschlossen. Aber die Regierungen im Veneto und in der Lombardei versuchen immer wieder, den Vogelfang durch´s Hintertürchen zu erlauben. Bislang allerdings ohne Erfolg! Das letzte Mal scheiterten sie im Oktober 2019 mit dem Plan, den Fang von 12.700 Amseln, Sing-, Rot- und Wacholderdrosseln mit Netzen zu erlauben.