Tiefkühl-Sperlinge für Italienische Restaurants
"Polenta uccelli" - Maisbrei mit Singvögeln - ist in Norditalien eine beliebte Spezialität. Da die Jagd auf Drosseln und Feldlerchen erlaubt ist, kann man das Gericht auch heute noch zubereiten. Allerdings nur in den eigenen vier Wänden, denn der Verkauf der geschossenen Tiere ist verboten. In Restaurants und Metzgereien dürfen Singvögel seit 1992 nicht mehr angeboten werden.
Hintergrund ist eine entsprechende Regelung der EU-Vogelschutzrichtlinie, die die Vermarktung von legal geschossenen oder gefangenen Singvögeln europäischer Vogelarten klar untersagt.
Damit die norditalienischen Restaurants doch eine Möglichkeit haben, Singvögel auf die Teller zu bringen, hat die Regierung in Rom eine inzwischen geschlossene Gesetzeslücke konstruiert. Der Trick: Während in der EU-Vogelschutzrichtlinie ausdrücklich "Vögel der europäischen Arten" steht, wurde im italienischen Naturschutzrecht die Formulierung "europäische Vögel" gewählt. Damit wurde Geflügelhändlern ein Hintertürchen geöffnet, um Vögel aus dem außereuropäischen Ausland zu importieren, selbst wenn es sich um europäische Arten handelt.
Bereits 1994 tauchten im Hafen von Rotterdam (Niederlande) ein Schiffscontainer aus China mit mehreren Hunderttausend tiefgefrorenen Feldsperlingen auf. Feldsperlinge sind europäische Vogelarten, durften also nach EU-Recht auch aus China nicht importiert werden. Das falsch übersetzte italienische Gesetz dagegen stufte sie als asiatische Vögel ein, da sie aus China kamen. Da die Tiere in Belgien dem Zoll in die Hände gefallen waren und die EU-Vogelschutzrichtlinie dort richtig formuliert war, konnte die Ladung mit etwas Druck seitens des Komitees gegen den Vogelmord und seines belgischen Partners LRBPO beschlagnahmt werden. Die Vögel wurden vernichtet, der zuständige Importeur ist danach nie mehr aufgefallen.
14 Jahre später, im Herbst 2008, wurden Komiteemitglieder am Iseosee auf eine Metzgerei aufmerksam, die in ihrem Schaufenster mit einem großen Plakat Singvögel anbot. 15 tiefgefrorene Vögel wurden zur Beweissicherung gekauft und die Polizei informiert. Es stellte sich heraus, dass der Metzger die Vögel aus Tunesien bezog und es dafür sogar eine ausdrückliche Genehmigung des zuständigen Ministeriums gab.
Das Komitee gegen den Vogelmord wollte sich damit nicht zufrieden geben und startete eine umfangreiche Recherche. Tierärzte stellten fest, dass die Vögel nicht geschossen worden waren. Sie mussten also mit Netzen oder Fallen gefangen worden sein, was auch in Tunesien verboten ist. Ein Rechtsgutachten belegte, dass die Tiere selbst dann nicht verkauft werden dürfen, wenn sie aus Tunesien stammten – ganz abgesehen vom Importverbot wegen der Vogelgrippe. Und das Institut für Vogelforschung in Wilhelmshaven bestätigte, dass es sich bei den Tieren um Weidensperlinge handelte und damit um eine geschützte europäische Art - die allerdings, wie oben beschrieben, nach italienischer Lesart der EU-Vogelschutzrichtlinie als nicht-europäische Vögel eingestuft wurden, da sie aus Nordafrika stammten.
Die EU konnte nicht unmittelbar einschreiten, da der Beweis fehlte, dass die Sperlingshändler wirklich straffrei ausgehen. Nach mehreren Strafanzeige des Komitees gegen den Vogelmord wurde im März 2012 ein Händler in Verona, bei dem die Polizei 12.960 gefrorene Weidensperlinge gefunden hatte, erwartungsgemäß freigesprochen. Das Gericht erkannte die Gesetzeslücke und bestätigte, dass die Sperlinge trotz EU-Verbots nach italienischem Recht verkauft werden durften. Mit dem Urteil konnten wir im Herbst 2012 in Brüssel eine Umweltbeschwerde gegen Italien einreichen. Am 23.07.2014 hat das italienische Parlament das Gesetz geändert und den Import von Sperlingen aus Tunesien verboten - seit August 2014 sind die Restaurants und Metzgereien damit vom letzten verbliebenen legalen Nachschubweg abgeschnitten!