Vogelfang und Wilderei in Ägypten

Ägypten gehört zu den weltweit bedeutendsten Brennpunkten der Wilderei. Seine Lage auf dem östlichen Zugweg zwischen Europa und Afrika mit dem Niltal als Zwangspassage macht das Land zu einem Flaschenhals für Millionen von Zugvögeln. Gleichzeitig ist die große Bevölkerung über weite Teile verarmt. Die Wilderei ist hier schon lange weit verbreitet und hat sich nach dem "Arabischen Frühling" mit seinen politischen Umstürzen noch einmal verstärkt.
Wilderei und Vogeljagd sind in Ägypten überall entlang der Mittelmeerküste verbreitet, ebenso wie entlang des Nils, in den Oasen und am Nasser-Stausee. An der Küste werden vor allem Stellnetze verwendet, die zum Fang von Wachteln sogar erlaubt sind. Gefangen wird aber schlichtweg alles, was durchzieht - von Wachtelkönigen über Pirole bis hin zu Neuntötern und Rotkopfwürgern. Die Tiere landen - oft noch lebend - auf den Märkten der großen Städte. Leimruten werden vor allem in den Oasen der Weißen Wüste eingesetzt, hier wie auch entlang des Nils gibt es aber auch Netze zum Singvogelfang. Der Nasser-Stausee, gelegen im Süden des Landes, ist ein wichtiges Rast- und Durchzuggebiet für Wasservögel. Hier gehen nicht nur heimische Vogeljäger auf die Pirsch, sondern auch maltesische Wilderer. Sie machen hier Trophäenjagd auf Pelikane, Störche, Flamingos und Greifvögel. Experten schätzen, dass in Ägypten jährlich zwischen 40 und 50 Millionen Vögel gefangen oder geschossen werden.

Einer Studie des NABU zufolge fangen nur etwa sieben Prozent der Wilderer die Vögel für den Eigenbedarf, für fast 60 % stellt der Vogelfang die Haupteinnahmequelle da. Die gefangenen und geschossenen Tiere werden dabei oft von armen Menschen - die gerne einer richtigen Beschäftigung nachgehen würden - an arme Kunden verkauft, die gerne besseres Fleisch auf dem Teller hätten. Ein Teil der Tiere - so Vermutungen - gehen inzwischen aber auch an gut zahlende Kunde aus den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Die rechtliche, ökonomische und soziale Lage in Ägypten ist prekär. Nicht dass das Land vor der Revolution des Jahres 2011 ein geordneter Rechtsstaat gewesen wäre, aber seit dem Umsturz haben rechtsfreie Räume und Behördenwillkür deutlich zugenommen. Der Naturschutz war am Nil nie ein Hauptanliegen, heute gehört er zu den am meisten vernachlässigten Themen der Regierung in Kairo. Es mangelt an guten Gesetzen, einer funktionierenden Polizei und einer unabhängigen Justiz - ganz abgesehen von der Einsicht, dass Zugvögel ein schützenswertes Gut sind.

Der Vogelfang in Ägypten ist unter Experten seit langem bekannt. Im Jahr 2013 haben Bilder und Filmaufnahmen von kilometerlangen Netzen und bündelweise auf den Märkten angebotenen lebenden Singvögeln zu einem Aufschrei geführt. Seither gab es diverse Konferenzen und Protestaktion zu dem Thema. Bislang sind alle Versuche, konkret gegen die Wilderei vorzugehen, an der Unbeweglichkeit der Behörden und den politischen Rahmenbedingungen gescheitert.
Das Komitee gegen den Vogelmord hat Experten zu verschiedenen Tagungen entsandt und ist in Kooperation mit den maltesischen Behörden erfolgreich gegen den illegalen Import von Trophäen von Ägypten nach Malta vorgegangen. Vogelschutzcamps, wie wir sie in der Europäischen Union durchführen, sind in Ägypten derzeit nicht möglich. Wir haben uns deswegen dazu entschieden, dem nach Ägypten zweiten Brennpunkt in der Region - dem Libanon - mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Hier sind die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen ebenso besser wie die soziale und ökonomische Situation der Bevölkerung. Für Störche und Greifvögel wie den Schreiadler sind die Berge im Zedernstaat sogar eine wichtigere Zugroute als das Niltal.
Für Ägypten bleibt zu hoffen, dass dem Land eine Phase der politischen und ökonomischen Konsolidierung bevorsteht. Zugvogelschutz muss man sich leisten können - in einem Klima von staatlicher Willkür und Armut haben die Menschen andere Sorgen als die Länge der Roten Listen gefährdeter Vogelarten in Europa.