Ausnahmegenehmigungen für die Vogeljagd

Mit dem Inkrafttreten der EU-Vogelschutzrichtlinie im Jahr 1979 wurden die meisten Singvogelarten unter Naturschutz gestellt. Bejagt werden durften fortan nur noch fünf Drosselarten sowie Stare und Feldlerchen – ein großer Fortschritt gegenüber der zuvor völlig unregulierten Singvogeljagd. Italien hat sich mit der Umsetzung der Richtlinie Zeit gelassen – erst im Jahr 1992 galten die Regelungen auch hier. Aber die Jäger wollten sich „liebgewonnene“ Beute wie Pieper, Finken und Sperlinge nicht nehmen lassen. Über Ausnahmeregelungen haben sich sich jedes Jahr unter Missachtung der Vogelschutzrichtlinie Genehmigungen zum Abschuss der geschützten Vögel erschlichen. Das Komitee gegen den Vogelmord hat zusammen mit seinen Partnerverbänden 30 Jahre gegen diese Praxis gekämpft – und letztlich gewonnen. Im Jahr 2013 wurden die Ausnahmegenehmigungen per Gesetz unmöglich gemacht.
Ausnahmeregelungen 1992 bis 2010
Die EU-Vogelschutzrichtlinie gibt den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit, geschützte Vogelarten zum Fang oder Abschuss freizugeben, wenn es sich um eine „Tradition“ handelt, nur „geringe Mengen“ betroffen sind, wenn es „keine andere zufriedenstellende Lösung gibt“ und wenn eine ausreichende Kontrolle der Auflagen sichergestellt ist. Einige italienische Regionen – allen voran die Lombardei, die Toskana und das Veneto – haben bereits im Jahr 1992 damit angefangen, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Unter dem Druck der italienischen Jagdlobby haben sie in jedem Herbst vor allem Buch- und Bergfinken, aber auch Baum- und Wiesenpieper sowie Kernbeißer zur Jagd freigegeben.

Was sie unter „geringer Menge“ verstehen, haben die Regionen sehr deutlich gemacht: Ende der 1990er Jahren wurden in jedem Jahr rund 10 Millionen eigentlich geschützte Vögel in der Lombardei, der Toskana und dem Veneto zur Jagd freigegeben. Und die Kontrollen, die die EU-Vogelschutzrichtlinie für solche Genehmigungen vorsieht, gab es nur auf dem Papier. Das Komitee gegen den Vogelmord und sein Partner Lega Abolizione Caccia (LAC) haben bereits bei der ersten Jagdfreigabe eine Anwaltskanzlei damit beauftragt, gegen das entsprechende Gesetz zu klagen und wir haben direkt gewonnen. Das Gesetz wurden für nicht rechtmäßig erklärt und musste zurückgenommen werden. In den Wochen, die darüber verhandelt wurde, konnten die Jäger nach Herzenzlust EU-weit geschützte Vögel ganz legal ins Visier nehmen.
In den Folgejahren hat sich daraus ein Katz-und-Maus-Spiel entwickelt: Die Regionen haben immer kurz vor Jagdbeginn eine erneute Ausnahmegenehmigung erlassen, gegen die wir klagen mussten. Bis zum Urteil konnte dann gejagt werden. Aber die Abschussgenehmigung für das Folgejahr hatten die Politiker schon in der Schublade. Das Veneto hat diese Art der Rechtsbeugung im Jahr 2009 auf die Spitze getrieben: Sie haben drei Mal innerhalb weniger Monate die Jagd auf geschützte Buch- und Bergfinken erlaubt, jedes Mal wurde die Genehmigung vom Gericht annuliert.
Sonderregelungen auch für Vogelfang

Die in Jagdfragen unverbesserlichen Regionen Lombardei, Venetien, die Emilia Romagna und die Toskana haben zusätzlich in jedem Jahr den Vogelfang mit Netzen erlaubt. Denn die Jäger brauchen Lockvögel für die Singvogeljagd. So gab es auch Ausnahmegenehmigungen für die Großfanganlagen, in denen auf diese Weise hunderttausende Drossel und Finken gefangen werden durften. Die Vögel fristeten den Rest ihres Lebens in kleinen Käfigen vor den Tarnhütten, um ihre Artgenossen vor die Flinten der Vogeljäger zu locken.
Auch gegen diese Regelungen haben wir geklagt, und auch hier mussten die Richter die Gesetze kippen, die Netze wurden eingeholt. Bis zur nächsten Freigabe.
2010: Europäischer Gerichtshof verurteilt Italien
Im Jahr 2010 hat der Europäische Gerichtshof Italien wegen dieser fortdauernden illegalen Genehmigungspraxis verurteilt. Die wichtigsten Gründe für die Richter in Luxemburg waren die fehlenden Kontrollen und die augenscheinlich nicht geringen Mengen. Die Lombardei hat in diesem Jahr tatsächlich erstmals keine Ausnahmegenehmigung mehr erlassen, um dann aber 2011 trotzdem wieder fünf geschützte Vogelarten zum Abschuss freizugeben, allerdings „nur“ noch 33.000 Tiere. Auch gegen dieses Gesetz haben wir geklagt und gewonnen.
Die erneute Abschussgenehmigung der Lombardei aus dem Jahr 2011 hat die EU-Kommission dazu bewogen, Italien empfindliche Strafen anzudrohen. Unter diesem Druck gab es im Herbst 2012 keine weiteren Jagdfreigaben. Aber die Pläne für die Buch- und Bergfinkenjagd 2013 lagen bereits auf dem Tisch.
2012: Kampagne gegen die Abschussgenehmigungen

Zu diesem Zeitpunkt haben sich die Natur- und Tierschutzverbände Italiens, darunter auch das Komitee gegen den Vogelmord, in einer Allianz zusammengeschlossen, um den Abschussgenehmigungen endgültig den Kampf anzusagen. Mit Klagen vor den Gerichten, einer großen Öffentlichkeitskampagne und mehreren Treffen mit der EU-Kommission konnten wir den Druck so erhöhen, dass Brüssel im Herbst 2012 die italienische Regierung aufgefordert hat, den regionalen Ausnahmeregelungen über die nationale Gesetzgebung einen Riegel vorzuschieben. Rom hat daraufhin im Jahr 2013 ein Gesetz beschlossen, dass den Regionen den Erlass von Abschussgenehmigung praktisch verbietet.
Seit dem Jahr 2013 gibt es keine Abschussgenehmigungen mehr für die Jagd auf geschützte Vögel in Italien!
In einer weiteren Entscheidung hat die Regierung in Rom auch den Großfanganlagen den Betrieb untersagt. Seit 2015 dürfen diese ebenfalls nicht mehr über Ausnahmeregelungen geöffnet werden.
Trotz alle Erfolge keine Entwarnung
Hinter fast allen regionalen Abschuss- und Fanggenehmigungen der letzten Jahrzehnte steckte die jagdfreundlichen Rechtspopulisten der separatistischen „Lega Nord“. Die einst nur auf einzelne Regionen im Norden Italiens beschränkte Splitterpartei nennt sich inzwischen „Lega“ und gehört heute zu den einflussreichsten politischen Kräften im Land. Ihre EU-feindliche Politik manifestiert sich vor allem in den Bestrebungen, die EU-Vogelschutzrichtlinie weiter auszuhebeln. Fast in jedem Jahr versuchen italienische Regionalregierungen, Netze zum Fang von Lockvögeln und den Abschuss von Buch- und Bergfinken zu genehmigen. Dieser als Stimmenfang zu verstehende Aktionismus verläuft zwar meist im Sande oder wird von Brüssel gestoppt - nichts desto trotz zeigt er, dass wir wachsam bleiben müssen.
Video von der Buch- und Bergfinkenjagd in Italien
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