Leimruten in der Provence
Die Provence hat ihren guten Ruf als Urlaubsgebiet nicht unbedingt zu Recht: Gefiederte Gäste, die den Winter in dem klimatisch begünstigten Hügelland im Südosten Frankreichs verbringen wollen, werden massenhaft und mit aller Brutalität verfolgt, gefangen und getötet.
Ähnlich wie in Norditalien jagen die meisten Jäger der Provence von sog. "Tarnhütten" aus auf Zugvögel. Auf eigens dazu gerodeten Flächen im Wald wird eine Hütte errichtet, in der der Jäger auf Beute lauert. Die seinen Schießbunker umgebende Fläche ist mit Vogelfutter und Wasser attraktiv gemacht, vor allem aber braucht der Tarnhüttenbesitzer eines: Lockvögel, die mit ihrem Gesang Artgenossen vor die Flinten holen.
Um an diese Lockvögel zu gelangen, hat der französische Staat bis zum Jahr 2020 den Fang von Drosseln erlaubt. In fünf Departements der Provence durften tausende Jäger mit klebrig-zähem Leim bestrichene Ruten auslegen, auf denen arglose Singvögel landen und kleben bleiben. Die Auflagen für die entsprechende Sondergenehmigung sind hoch: Jeder Fänger durfte nur 20 Vögel pro Jahr fangen, musste stets anwesend sein, um die Vögel unverletzt zu befreien, die Ruten durften nur in den Morgenstunden ausgelegt werden und der Verkauf der Vögel war verboten.
Tatsächlich hielt sich in den abgelegenen Dörfern der Provence, wo im November kein Tourist mehr die verblühten Lavendelfelder bestaunt, nicht jeder an solche Auflagen. So haben Komitee-Recherchen ergeben, dass die Vögel teuer verkauft wurden - an französische Jäger wie auch an italienische Tarnhüttenbesitzer.
Völlig aus der Luft gegriffen war die Quote: Der Fang mit Leimruten war 8 Wochen im Herbst erlaubt, jeder Fänger hatte Hunderte Leimruten. Es ist zu bezweifeln, dass die Menschen diesen Aufwand für 20 Vögel betreiben. Vogelfänger vor Ort haben uns bestätigt, dass die Quote spätestens binnen einer Woche ausgeschöpft war, die restliche Zeit wurde einfach illegal weiter gefangen. Effektive Kontrollen: Fehlanzeige.
Dem Fang mit Leimruten in der Provence durften im Jahr rund 300.000 Drosseln und andere Singvögel zum Opfer fallen. Frankreich ist das einzige Land der EU, das den Einsatz von Leimruten noch erlaubt hatte
Das Komitee gegen den Vogelmord hat regelmäßig Recherchefahrten in die Provence unternommen, um Informationen zum Vogelfang zu sammeln. Die Ergebnisse wurden in Stellungnahmen der EU-Kommission zur Verfügung gestellt und waren Grundlage von EU-Umweltbeschwerden und Protestaktionen zusammen mit dem französischen Naturschutzverband LPO. Der Druck auf die Behörden in den Departements war zuletzt so gewachsen, dass die Macron-Regierung im Oktober 2020 die Leimruten verboten hat - zumindest für die Jagdsaison 2020/2021. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat im März 2021 entschieden, dass die Genehmigungspraxis in Frankreich nicht mit der EU-Vogelschutzrichtlinie vereinbar ist. Nun ist es an der Regierung in Paris, die Leimruten endgültig für illegal zu erklären bzw. die Genehmigung nicht wieder erneut zu erteilen.