Abschusszahlen bei der Vogeljagd in Europa
Dieser Text ist eine stark gekürzte Fassung des Originalartikels der Autoren Axel Hirschfeld und Geraldine Attard, der in der Fachzeitschrift „Berichte zum Vogelschutz“ (BzV, Ausgabe 53/54, 2017) im April 2018 erschienen ist. Dort sind auch alle erwähnten Literaturzitate und die Methoden zur Abschätzung von artgenauen Sammelangaben wie zum Beispiel „Wildenten“ aufgeführt.
Informationen zum Bezug der BzV erhalten Sie beim Deutschen Rat für Vogelschutz.
Einleitung
Die Jagd auf Vögel, darunter insbesondere Zugvögel, ist eine weit verbreitete Freizeitbeschäftigung mit teilweise sehr langen Traditionen, der bis heute mehrere Millionen Jäger und Vogelfänger in Europa nachgehen (vgl. Tab. 1). Der Rahmen für die Jagdgesetzgebung in den einzelnen Mitgliedstaaten der EU wird durch die Bestimmungen der 1979 verabschiedeten Europäischen Vogelschutzrichtlinie (VRL) vorgegeben, die für das Gebiet der Europäischen Union (EU) in Annex II insgesamt 82 Vogelarten als „jagdbar“ einstuft, darunter auch zahlreiche mittlerweile im Bestand bedrohte Arten. Vor dem Hintergrund des massiven Rückgangs vieler ziehender Arten wie Kiebitz, Turteltaube oder Feldlerche wird immer wieder diskutiert, ob und in welchem Ausmaß die legale Vogeljagd dafür verantwortlich ist und ob eine weitere Bejagung angesichts von deren unvorteilhaften Erhaltungsstatus weiter nachhaltig sein kann oder verboten werden sollte. Um entsprechende Bewertungen für einzelne Arten bzw. Populationen vornehmen zu können, müssen neben Zahlen zur Bestandsgröße und Reproduktion auch Daten zu Abschüssen im gesamten Jahreslebensraum ausgewertet werden. Die letzte und bisher einzige Arbeit, die eine Übersicht über Abschusszahlen bzw. entsprechende Schätzungen für alle 82 Arten des Annex II der VRL in Europa liefert, erschien im Jahr 2005 in Ausgabe 42 der Berichte zum Vogelschutz (HIRSCHFELD & HEYD 2005). Ziel dieser Veröffentlichung ist es, eine Übersicht über den aktuellen Jagddruck auf diese Arten in Europa zu erstellen und die Ergebnisse mit denen der älteren Studie zu vergleichen. Die Daten sollen anschließend hinsichtlich ihrer Bedeutung für den Vogelschutz in Deutschland, insbesondere für alle in der aktuellen Roten Liste der Brutvögel Deutschlands (GRÜNEBERG et al. 2015) aufgeführten Arten, diskutiert werden.
Material und Methoden
Auf Initiative und mit finanzieller Unterstützung des Deutschen Rates für Vogelschutzes (DRV) haben Mitarbeiter des Komitees gegen den Vogelmord im Jahr 2016 systematisch alle verfügbaren nationalen Jagdstatistiken aus der EU, der Schweiz und Norwegen zusammengetragen und die darin enthaltenen Daten für die 82 Vogelarten des Anhang II der VRL ausgewertet. Dazu wurden in einer ersten Arbeitsphase (Juni bis Oktober 2016) alle öffentlich zugänglichen Jagdstatistiken erfasst und daraus die Daten für die untersuchten Vogelarten in ein Tabellenblatt (Microsoft Excel) eingegeben. Um einen möglichst aktuellen Überblick zu erhalten, wurden – falls möglich – für jedes Land die Jagdstrecken des Jagdjahres 2014/15 bzw. des Kalenderjahres 2014 ausgewertet. In Ländern, wo diese nicht zur Verfügung standen, wurde auf die jeweils aktuellsten Daten zurückgegriffen (siehe Tab. 1). In einem zweiten Schritt (November und Dezember 2016) wurden Jagdbehörden und verbände sowie Vogelschutzorganisationen solcher Länder kontaktiert, deren Statistiken nicht öffentlich zugänglich sind, und um Übermittlung der entsprechenden Daten gebeten.
Ergebnisse
Insgesamt wurden aus den zur Verfügung stehenden Quellen 633 Einzelstrecken ermittelt oder abgeschätzt, was etwa 83 % aller möglichen 761 Datenpunkte entspricht. Die Summe aller artgenau ermittelten Abschusszahlen, zusammengefassten Sammelstrecken und der hochgerechneten italienischen Jagdstrecke beträgt insgesamt rund 53 Millionen pro Jahr getötete Individuen der 82 untersuchten Arten. Tabelle 1 liefert Informationen über Fläche, Anzahl der Jäger, die Menge an jagdbaren Vogelarten sowie zum ermittelten bzw. geschätzten Gesamtabschuss und zur Datenqualität in allen 30 untersuchten Ländern.
Die ermittelten Abschusszahlen und Trends ergeben für jede Art ein Gesamtbild über den Jagddruck im Untersuchungsgebiet. Für den Naturschutz von besonderem Interesse sind dabei die Daten zu Arten, die europaweit oder in einem bestimmten Mitgliedsstaat als gefährdet eingestuft werden. Stellvertretend für alle 82 Arten des Annex II werden deshalb im folgenden Abschnitt die Ergebnisse für alle ziehenden Arten der Roten Liste der Brutvögel Deutschlands (RLD, GRÜNEBERG et al. 2015) zusammengefasst.
Land | Anzahl Jäger | Jägerdichte | Abschuss Vögel pro Jahr | Jagdsaison | Arten mit Jagdzeit |
Belgien | 23.000 | 0,75 | 1.019.701 | 2014 | 13 |
Bulgarien | 120.000 | 1,08 | 548.062 | 2013/14 | 25 |
Dänemark | 178.000 | 4,15 | 2.062.054 | 2014/15 | 30 |
Deutschland | 374.084 | 1,05 | 1.156.149 | 2014/15 | 30 |
Estland | 15.000 | 0,33 | 17.252 | 2014/15 | 32 |
Finnland | 207.000 | 0,61 | 1.265.700 | 2014 | 30 |
Frankreich | 1.250.000 | 1,94 | 17.624.996 | 2013/14 | 63 |
Griechenland | 174.500 | 1,32 | ? | - | 32 |
Irland | 350.000 | 4,98 | ? | - | 19 |
Italien | 689.000 | 2,29 | 3.702.797* | 2014/14 | 34 |
Kroatien | 56.327 | 0,99 | 150.191 | 2014/15 | 21 |
Lettland | 25.000 | 0,39 | 21.507 | 2014/15 | 28 |
Litauen | 32.000 | 0,49 | 13.116 | 2014 | 16 |
Luxemburg | 2.080 | 0,8 | 1.948 | 2014/15 | 3 |
Malta | 11.076 | 35,05 | 121.496 | 2014 | 32 |
Niederlande | 27.000 | 0,65 | ? | - | 10 |
Norwegen | 142.850 | 0,37 | 449.920 | 2014/15 | 29 |
Österreich | 123.283 | 1,47 | 154.114 | 2014/15 | 26 |
Polen | 118.362 | 0,38 | 211.096 | 2014/15 | 13 |
Portugal | 120.000 | 1,3 | 1.562.224 | 2013/14 | 30 |
Rumänien | 60.000 | 0,25 | 1.256.876 | 2014/15 | 39 |
Slowakei | 38.719 | 1,02 | 113.748 | 2014/15 | 20 |
Slowenien | 22.000 | 1,1 | 32.456 | 2014 | 6 |
Spanien | 906.437 | 1,79 | 11.933.963 | 2014/15 | 32 |
Schweden | 300.000 | 0,67 | 549.585 | 2014/15 | 33 |
Schweiz | 29.864 | 0,72 | 27.513 | 2014 | 22 |
Tschechische Republik | 92.247 | 1,17 | 783.265 | 2014 | 14 |
Ungarn | 59.053 | 0,63 | 548.392 | 2013/14 | 14 |
Vereinigtes Königreich | 800.000 | 3,04 | ? | - | ? |
Zypern | 42.215 | 4,56 | 3.700.711 | 2015 | 34 |
Legende zur Tabelle: Anzahl Jäger=Anzahl der offiziell registrierten Jäger nach FACE (2010), Jägerdichte=Anzahl registrierter Jäger pro Quadratkilometer, Abschuss Vögel pro Jahr=Anzahl der mindestens pro Jahr geschossenen Individuen von Vogelarten des Anhang II der VRL, Jagdsaison=Zeitraum, in dem die ausgewerteten Jagdstrecken erhoben wurden, Arten mit Jagdzeit=Anzahl der Vogelarten, die legal bejagt werden dürfen, untersuchte Jagdstrecken=Anzahl ausgewerteter Einzelstrecken, *=Jagdstrecke anhand regionaler Daten hochgerechnet
Ausgesuchte Arten im Detail:
Pfeifente (Anas penelope, RLD R): Jagdbar in insgesamt 21 EU-Ländern, von denen aus 12 artgenaue Abschusszahlen in einer Gesamthöhe von 236.219 getöteten Individuen vorliegen (Tab. 2). Aus Österreich, Deutschland und Spanien liegen lediglich zusammengefasste Streckenangaben für „Wildenten“ bzw. „Wasservögel“ (Spanien) vor (Tab. 3). Die Anzahl der in Italien geschossenen Pfeifenten wird auf insgesamt 11.252 Individuen geschätzt. Die Zahl der in sieben Stichprobenländern als geschossen gemeldeten Pfeifenten ist in den letzten Jahren von 100.525 auf 75.937 Tiere gesunken (Tab. 4). Daten aus den Niederlanden, Großbritannien, Bulgarien, Griechenland und Zypern, wo die Art ebenfalls bejagt werden darf, fehlen.
Knäkente (Anas querquedula, RLD 2): Jagdbar in insgesamt 17 EU-Ländern, von denen aus 10 artgenaue Abschusszahlen in einer Gesamthöhe von 42.616 getöteten Individuen vorliegen (Tab. 2). Aus drei Staaten liegen lediglich zusammengefasste Streckenangaben für „Wildenten“ (Österreich), „Wasservögel“ (Spanien) bzw. „Krick- und Knäkenten“ (Finnland) vor (Tab. 3). Die Anzahl der in Italien geschossenen Knäkenten wird auf insgesamt 3.387 Individuen geschätzt. Daten aus Bulgarien, Griechenland und Zypern, wo die Art ebenfalls bejagt werden darf, fehlen. Die Zahl der in fünf Stichprobenländern als geschossenen gemeldeten Knäkenten ist in den letzten Jahren von 1.584 auf 509 Tiere gesunken (Tab. 4).
Krickente (Anas crecca, RLD 3): Jagdbar in insgesamt 24 EU-Ländern, von denen aus 13 artgenaue Abschusszahlen in einer Gesamthöhe von 522.253 getöteten Individuen vorliegen (Tab. 2). Aus Deutschland, Österreich, Finnland, Spanien und Polen liegen lediglich zusammengefasste Streckenangaben für „Wildenten“, „Krick- und Knäkenten“ bzw. „Wasservögel“ vor (Tab. 3). Die Anzahl der in Italien geschossenen Krickenten wird auf insgesamt 54.491 Individuen geschätzt. Aktuelle Daten aus dem Vereinigten Königreich, Irland, Zypern, Griechenland und Bulgarien standen nicht zur Verfügung. Die Zahl der in acht Stichprobenländern als geschossen gemeldeten Krickenten ist in den letzten Jahren von 414.417 auf 481.430 Tiere angestiegen (Tab. 4).
Wasserralle (Rallus aquaticus, RLD V): Jagdbar in drei EU-Ländern. Für Frankreich und Malta liegen genaue Angaben aus der Jagdsaison 2014/2015 vor, die insgesamt 3.896 abgeschossene Vögel listen (Tab. 2). Der Gesamtabschuss in Italien wird auf 1.420 Individuen geschätzt. Die Zahl der in Frankreich und Malta als geschossen gemeldeten Wasserrallen ist in den letzten Jahren von 30.305 auf 3.896 Tiere um etwa 87 % gesunken (Tab. 4).
Wachtel (Coturnix coturnix, RLD V): Jagdbar in insgesamt zehn EU-Ländern, von denen aus sechs artgenaue Abschusszahlen in einer Gesamthöhe von 1.607.964 getöteten Individuen vorliegen (Tab. 2). Der Gesamtabschuss in Italien wird auf 76.064 Individuen geschätzt. Aus Griechenland, Bulgarien, Portugal und Österreich (Burgenland) konnten keine aktuellen Abschusszahlenausgewertet werden. Im EU-Managementplan für die Wachtel (EUROPÄISCHE KOMMISSION 2009b) wird der jährliche Abschuss in Griechenland auf 72.000 und in Bulgarien auf zwischen 250.000 und 300.000 Wachteln geschätzt. Die Zahl der in drei Stichprobenländern als geschossen gemeldeten Wachteln ist in den letzten Jahren von 363.000 auf 215.230 Tiere gesunken (Tab. 4).
Turteltaube (Streptopelia turtur, RLD 2): Jagdbar in insgesamt zehn EU-Ländern, von denen aus acht artgenaue Abschusszahlen bzw. Schätzungen in einer Gesamthöhe von 1.455.208 getöteten Individuen vorliegen (Tab. 2). Für Griechenland fehlen aktuelle Angaben. Im EU Management-Plan für die Turteltaube (EUROPÄISCHE KOMMISSION 2007b) wird für den jährlichen Abschuss von Turteltauben in Griechenland eine Spannweite von 300.000 bis 600.000 Vögeln angegeben. Dabei handelt es sich jedoch um eine Schätzung, die auf älteren Daten beruht. Angesichts des fortschreitenden Rückgangs der Art in ihrem gesamten Verbreitungsgebiet und des Rückgangs in den Streckenzahlen anderer Staaten dürfte auch die aktuelle Turteltaubenstrecke in Griechenland unter diesen Schätzwert gesunken sein. In Österreich ist die Turteltaube in den Bundesländern Niederösterreich, Burgenland und Wien jagdbar. Die österreichische Gesamtstrecke wird in der aktuellen Revision des EU-Managementplanes für die Turteltaube (FISHER et al. 2016) mit „weniger als 7.800“ angegeben. Dieser Wert dürfte mittlerweile deutlich unterschritten werden. Für die Slowakei werden von FISHER et al. (2016) 3.089 geschossene Vögel angegeben, obwohl das Land bei der Art in Annex II Teil B der VRL nicht aufgeführt ist. Malta hat bis zum Frühling 2016 als einziges Land im Untersuchungsgebiet die Bejagung dieser Art im Frühling gestattet, seit 2017 gilt jedoch auch hier im Frühling ein Jagdverbot. Die Zahl der in acht Stichprobenländern als geschossen gemeldeten Turteltauben ist in den letzten Jahren von 323.933 auf 208.133 Tiere gesunken (Tab. 4).
Waldschnepfe (Scolopax rusticola, RLD V): Die Art wird aktuell im Untersuchungsgebiet in 26 Staaten legal bejagt. Aus 21 Ländern liegen artgenaue Streckenzahlen in Höhe von 973.414 Individuen pro Jahr vor (Tab. 2). Der Abschuss in Italien wird auf 144.099 Individuen geschätzt. Dazu kommen im Untersuchungsgebiet die Abschüsse von Waldschnepfen im Vereinigten Königreich, Irland, Bulgarien und Griechenland. Ältere Angaben schätzen den Abschuss für Großbritannien auf 125.000 (AEBISCHER et al. 2003) bzw. 150.000 (FERRAND & GOSSMANN 2001) Vögel, für Irland auf rund 125.000 (HIRSCHFELD & HEYD 2005, nach Daten von O ́HULLACHAIN & HENDERSON 2004) und für Griechenland auf 450.000-550.000 (FERRAND & GOSSMANN 2001) bzw. ca. eine Million pro Jahr geschossene Tiere (HIRSCHFELD & HEYD 2005). Angesichts der Entwicklung der Streckenzahlen in anderen Ländern ist allerdings auch dort mit einem entsprechenden Rückgang der Abschüsse zu rechnen. Ein Vergleich der Daten aus 16 Ländern, aus denen aus beiden Vergleichszeiträumen Datenreihen vorliegen, ergibt einen Rückgang der Abschusszahlen von 1.277.606 auf 819.210 Vögel (Tab. 4).
Großer Brachvogel (Numenius arquata, RLD 1): Gemäß Anhang II Teil B darf die Art in Frankreich, Irland, Dänemark und dem Vereinigten Königreich zur Jagd freigegeben werden. Das einzige Land, das im Untersuchungszeitraum davon Gebrauch gemacht hat, ist Frankreich, wo nach einem fünfjährigen Abschussmoratorium in der Jagdsaison 2013/14 wieder 6.858 Exemplare an den Küstenbereichen geschossen wurden (AUBRY et al. 2016). Im französischen Binnenland ist die Art bis Juli 2018 vorläufig weiter geschützt (THE N2K GROUP 2014).
Goldregenpfeifer (Pluvialis apricaria, RLD 1): Anhang II Teil B gestattet insgesamt zehn EU-Ländern, diese Art zum Abschuss freizugeben, von denen allerdings nur sechs EU-Länder sowie Norwegen auch tatsächlich eine Jagdzeit eingerichtet haben. Artgenaue Streckenzahlen liegen lediglich aus Frankreich, Portugal und Malta vor und summieren sich auf insgesamt 19.821 pro Jahr getötete Vögel (Tab. 2). Die Zahl der in Frankreich und Malta als geschossen gemeldeten Goldregenpfeifer hat im Untersuchungszeitraum um mehr als 80 % abgenommen (Tab. 4). Die maltesischen Zahlen beinhalten sowohl den Abschuss als auch den seit 2014 wieder erlaubten Fang mit großen Schlagnetzen. Aktuelle Daten aus Großbritannien, Irland, Griechenland und Norwegen, wo die Art aktuell noch in einigen Landesteilen geschossen wird, fehlen.
Bekassine (Gallinago gallinago, RLD 1): Wird aktuell in 16 Ländern aus dem Untersuchungsgebiet bejagt. Aktuelle, artgenaue Streckenzahlen liegen aus acht Ländern vor und summieren sich auf insgesamt 205.577 Vögel (Tab. 2). Für Italien wird der Gesamtabschuss auf jährlich 49.021 Exemplare geschätzt. Der Anteil der Bekassine an der spanischen Jagdstrecke für „Wasservögel“ liegt je nach Projektionsmethode zwischen 4.738 und 15.996 Exemplaren (siehe Tab. 3). Dazu kommen die Abschüsse der Länder Zypern, Bulgarien, Irland, dem Vereinigten Königreich und Österreich (nur Burgenland), aus denen keine aktuellen Daten zum Abschuss der Bekassine vorliegen. Ältere Angaben gehen für das Vereinigte Königreich von 30.000 und für Irland von rund 205.000 pro Jahr geschossenen Bekassinen aus (HIRSCHFELD & HEYD 2005). Die Zahl der in fünf Stichprobenländern als geschossen gemeldeten Bekassinen ist in den letzten Jahren von 294.031 auf 189.922 Tiere gesunken (Tab. 4).
Kampfläufer (Philomachus pugnax, RLD 1): Wird in Frankreich, Malta und einigen italienischen Regionen geschossen. Für die Jagdsaison 2013/14 werden aus Frankreich 932 Exemplare und aus Malta 13 Vögel (Saison 2014/15) als geschossen gemeldet. (Tab. 2). Der jährliche Gesamtabschuss in Italien wird auf 77 Exemplare geschätzt.
Kiebitz (Vanellus vanellus, RLD 2): Kiebitze werden zur Zeit noch in fünf EU-Staaten bejagt, von denen aus Frankreich, Malta und Spanien artgenaue Streckenzahlen in Höhe von 107.802 geschossenen Vögeln vorliegen (Tab. 2). Der Gesamtabschuss in Italien wird auf 7.489 Individuen geschätzt. Aktuelle Daten aus Griechenland fehlen. Im EU-Management Plan (EUROPÄISCHE KOMMISSION 2009c) wird eine Schätzung von 100.000 pro Jahr in Griechenland erlegten Kiebitzen angegeben. Die französische Jagdstrecke ist im Vergleich zur Jagdsaison 1998 um rund 78 % zurückgegangen (Tab. 4).
Feldlerche (Alauda arvensis, RLD 3): Jagdbar in sechs EU-Ländern, von denen aus vier artgenaue Abschusszahlen in Höhe von 898.958 Vögeln vorliegen (Tab. 2). Dazu kommen die in Italien abgeschossenen Feldlerchen, deren Zahl auf etwa 451.671 weitere Vögel geschätzt wird. Aktuelle Zahlen aus Griechenland, wo die Art eine beliebte Jagdbeute ist, fehlen. Im EU-Management Plan (EUROPÄISCHE KOMMISSION 2007a) werden für Griechenland „180.000-400.000“ jährlich geschossene Feldlerchen angegeben, angesichts der Entwicklung der Abschusszahlen in anderen Staaten muss jedoch auch dort von einem entsprechenden Rückgang ausgegangen werden. Der Abschuss in den Stichprobenländern Frankreich und Malta ist in den letzten Jahren von 684.135 auf 194.229 Vögel gesunken, was einem Rückgang von rund 71 % entspricht (Tab. 4). Zusätzlich zur Jagd mit dem Gewehr dürfen Feldlerchen im französischen Departement Landes von Oktober bis November mit Klappnetzen (pantes) und Drahtfallen (matoles) gefangen werden. In der Jagdsaison 2014 wurde vom französischen Umweltministerium eine maximale Fangquote von 260.000 Vögeln festgesetzt (MINISTÈRE DE L'ENVIRONNEMENT, DU DÉVELLOPPEMENT DURABLE ET DE L'ÉNERGIE 2014)
Aussagekraft der Daten
Bei der Bewertung der ermittelten Abschusszahlen im Untersuchungsgebiet muss berücksichtigt werden, dass es sich dabei für die meisten Arten nur um einen Teil der Gesamtverluste durch Jagd und Vogelfang handelt. So fehlen die kompletten Statistiken aus Großbritannien, Irland, den Niederlanden und Griechenland. Da in diesen vier Ländern zusammen rund 20 % aller im Untersuchungsgebiet gemeldeten Jäger leben (siehe Tab. 1, Daten nach FACE 2010), muss für die meisten der in diesen Ländern jagdbaren Arten (siehe Tab. 2) mit einer entsprechenden „Dunkelziffer“ gerechnet werden. Dazu kommen zahlreiche weitere fehlende Einzelstrecken, die in den Statistiken der untersuchten Länder aus verschiedenen Gründen nicht enthalten sind. In keiner Quelle enthalten sind zudem Daten über Vögel, die bei der Jagd lediglich angeschossenen werden und später unentdeckt verenden oder durch jagdbedingte Verletzungen eingeschränkt reproduktionsfähig sind. Da fast alle hier behandelten Arten mit Schrot geschossen werden und dabei insbesondere bei Zugvögeln in Schwärme gezielt wird, ist hier mit weiteren Verlusten in Millionenhöhe zu rechnen (Vgl. MOOIJ 1995, MADSEN & NOER 1996, ALISON 2001). Ebenfalls nicht mit eingeschlossen sind Verluste durch illegale Jagd und Vogelfang, die für einige Arten eine massive zusätzliche Mortalitätsursache im Untersuchungsgebiet und darüber hinaus darstellen. Beispiele dafür sind die illegale Frühlingsjagd auf Turteltauben und Wachteln in Süditalien, Griechenland und einigen Balkanstaaten und der jährliche illegale Fang von Hunderttausenden Drosseln auf Zypern und in Italien (KOMITEE GEGEN DEN VOGELMORD 2013a, BIRDLIFE INTERNATIONAL 2011, BROCHET et al. 2016, DEBERSEK & RUTIGLIANO 2016).
Genauso relevant wie die Verluste im Untersuchungsgebiet sind bei den meisten Arten auch noch die Abschüsse bzw. der Fang außerhalb Europas, wie zum Beispiel auf dem Balkan, dem Nahen Osten und in Afrika. Aufgrund ihrer Beliebtheit und ihrem Status als „Brot- und Butter-Arten“ vieler Zugvogeljäger ist insbesondere für Wachteln und Turteltauben von einem besonders hohen zusätzlichen Jagddruck außerhalb des Untersuchungsgebietes auszugehen. So sind beide Arten in fast allen Ländern Südeuropas, dem Balkan, der arabischen Halbinsel sowie in den Maghreb-Staaten zum Abschuss freigegeben (vgl. EUROPÄISCHE KOMMISSION 2009b, FISHER et al. 2016), wobei vielerorts auch der Abschuss heimkehrender Vögel im Frühling erlaubt ist. BROCHET et al. (2016) schätzen, dass im gesamten Mittelmeerraum pro Jahr jeweils mehr als eine Million Wachteln und Singdrosseln illegal, also zusätzlich zu den legal erlegten Tieren, gefangen und geschossen werden. OMER (2015) berichtet, dass Wachteln für viele Bewohner des Gaza-Streifens während der Zugzeiten ein wichtiges Grundnahrungsmittel sind. Auch im Libanon werden jeden Frühling und Herbst Hunderttausende europäische Zugvögel für den Kochtopf geschossen, darunter auch zahlreiche Wachteln, Drosseln, Turteltauben und Wasservögel (KOMITEE GEGEN DEN VOGELMORD 2013b).
Fazit und Forderungen aus Sicht des Vogelschutzes
Je nach Art liegt der Anteil von in der EU brütenden Vögeln an der jeweiligen Jagdstrecke zwischen 0 % (z.B. Blässgans) bis hin zu 100 % (z.B. Auerhuhn). Für die meisten ziehenden Arten ist dieser Anteil an der sog. Flyway-Population (ROSE 1998) jedoch noch unbekannt, was eine genaue Abschätzung der Folgen der Jagd erschwert (MADSEN et al. 2015). Vergleicht man die für das Untersuchungsgebiet ermittelten und geschätzten jährlichen Abschusszahlen mit den aus den Daten der Länderberichte nach Artikel 12 der VRL berechneten europäischen Brutpopulationen (EUROPEAN ENVIRONMENT AGENCY 2016) so findet man eine ganze Reihe von Zugvögeln, von denen bereits in Ländern mit exakter Statistik Tiere in einer Größenordnung von mehr als der Hälfte der insgesamt in Europa brütenden Individuen (Frühjahrsbestand) abgeschossen bzw. gefangen werden. Zu diesen Verlusten kommen bei den meisten Arten noch die im Untersuchungsgebiet illegal erlegten Exemplare sowie Vögel, die in Italien und in Ländern mit Sammelstrecken für diese Arten (siehe Tab. 3 und 4), in den Ländern mit fehlenden Daten (siehe Tab. 2) sowie außerhalb Europas geschossen werden. Beispiel Zwergschnepfe: Aus Frankreich, Portugal, Malta und Rumänien liegen artgenaue Streckenangaben in Höhe von insgesamt 45.716 geschossenen Tieren vor, zu denen noch die Jagdstrecken aus Italien (Schätzung: 3.880 Individuen) und Spanien (Schätzung zwischen 1.233 und 3.477 Individuen, siehe Tab. 3) sowie aus Zypern, Irland und dem Vereinigten Königreich (keine aktuellen Daten vorhanden) kommen. Aber auch ohne die fehlenden Daten liegt der Gesamtabschuss in den Ländern mit vollständiger Statistik ungefähr in Höhe des maximalen Europäischen Brutbestandes von 23.100 Paaren (EUROPEAN ENVIRONMENT AGENCY 2016). Zu berücksichtigen ist, dass sich unter den in der EU geschossenen Vögeln auch zahlreiche Durchzügler aus Russland und Osteuropa befinden, deren Tod sich nicht direkt auf die Bestände in der EU auswirkt. Ähnliches gilt auch für viele andere Arten wie z.B. die Turteltaube. Legt man für diese Art für die Jahre 1980 bis 2002 den von HIRSCHFELD & HEYD (2005) berechneten jährlichen Mindestabschuss von 2,3 Millionen Vögeln pro Jahr und für den Zeitraum 2003-2013 den in dieser Studie berechneten Jahresabschuss von 1,5 Millionen Tieren zugrunde, kommt man für den Zeitraum 1980-2013 auf mindestens 65 Millionen in der EU geschossene Turteltauben. Berücksichtigt man, dass die Daten aus Griechenland fehlen und dass die Abschusszahlen in den 80er und 90er Jahren überall noch deutlich höher waren, ist von mehr als 100 Millionen Turteltauben auszugehen, die in den Jahren 1980 bis 2013 allein in der EU von Jägern getötet wurden. Im selben Zeitraum hat der europäische Bestand der Turteltaube um 78 % abgenommen (EUROPEAN BIRD CENSUS COUNCIL 2015).
In Artikel 7, Abschnitt 1 der VRL heißt es wörtlich: „Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die Jagd auf diese Vogelarten die Anstrengungen, die in ihrem Verbreitungsgebiet zu ihrer Erhaltung unternommen werden, nicht zunichte macht“. Länder, die im Bestand bedrohte Arten weiterhin zum Abschuss freigeben, nehmen jedoch billigend in Kauf, dass dadurch Schutzbemühungen in anderen Mitgliedstaaten zerstört oder gefährdet werden. Vor dem Hintergrund der hohen Verluste durch die Jagd und der gleichzeitig immer weiter schrumpfenden Bestände vieler von Jägern begehrter Arten besteht kein Zweifel, dass derart intensive Verfolgungen in ihrer Gesamtheit kaum etwas mit nachhaltiger Nutzung zu tun haben, sondern im Gegenteil bei vielen Arten den Rückgang beschleunigen. Die Jagd auf gefährdete Arten ist deshalb ethisch und politisch nicht mehr vertretbar, zumal es sich dabei ausschließlich um ein Hobby einer Minderheit und nicht etwa um Bestandsregulierungen häufiger Arten im öffentlichen Interesse – wie zum Beispiel aus Gründen der Flugsicherheit – handelt. Auch wenn die Jagd bei den meisten europaweit oder in Deutschland als „gefährdet“ eingestuften Arten nicht die Hauptursache für deren Rückgang ist, erscheint es angesichts der aktuellen Bestandssituation nicht nachvollziehbar, weitere Abschüsse als „nachhaltiges Abschöpfen eines Überschusses“ oder „Tradition“ zu rechtfertigen. Die Naturschutzverbände sollten derart einseitig motivierten Rechtfertigungsversuchen einen klaren Gegenentwurf gegenüberstellen und sich offensiv für Jagdverbote auf gefährdete Arten in den einzelnen Ländern einsetzen. Sollten diese Bemühungen scheitern, muss die Europäische Kommission davon überzeugt werden, endlich Druck auf die jeweiligen Regierungen auszuüben und notfalls Verfahren wegen Verstoß gegen die VRL vor dem Europäischen Gerichtshof anstrengen.
Veröffentlichung zum Download
Diese Studie ist im Jahr 2018 in den Berichten zum Vogelschutz (BzV), Ausgabe 53/54, 2017 erschienen. Sie können die Veröffentlichung hier als PDF herunterladen:
Eine englische Version ist im Jahr 2019 in der Zeitschrift "British Birds" erschienen - Sie steht Ihnen hier zum Download bereit:
Unsere vorangegangene Veröffentlichung zum gleichen Thema in den Berichten zum Vogelschutz aus dem Jahr 2005 (Ausgabe 42) finden Sie hier: